Wärmewende: Interview mit den Stadtwerken Bochum

Die zentrale Gestalterin der Wärmewende in Bochum sind die Stadtwerke. Sie versorgen weite der Teile der Stadt mit Gas für Zentralheizungen und Fernwärme, besonders auch Mietwohnungen. Der Mieterverein hat daher zum Abschluss des Schwerpunkts Wärmewende die Stadtwerke interviewt, was diese konkret tun, um die Wärmeversorgung zukünftig klimafreundlich umzugestalten.

Martin Krämer: Die Wärmewende betrifft alle Gebäude, insbesondere aber auch Wohnhäuser. Das heißt diese einerseits besser energetisch zu sanieren, damit der Energieverbrauch sinkt. Andererseits soll von fossilen Energieträgern wie Gas auf erneuerbare umgestellt werden. Was bedeutet das für die Stadtwerke konkret?

Hartmut Conrad: Wir sollten die Wärmeversorgung hierzu differenziert betrachten. Hier gibt es zum einen das Bochumer Fernwärmegebiet, das nicht die ganze Stadt betrifft aber ausgebaut wird und die Gebiete, die möglicherweise auch langfristig nicht dazugehören werden, also z.B. Bochum-Stiepel. Die genaue Planung wird im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung erarbeitet. Diesem Ergebnis wollen und können wir nicht vorgreifen.

Da, wo Fernwärme bereits liegt, und auch in den angrenzenden Gebieten werden wir unser Wärmenetz stark ausbauen, also sowohl das Netz verdichten als auch neue Gebiete erschließen. Allein in den Gebieten, in denen schon Fernwärmeleitungen liegen, sind noch über 3000 Immobilien nicht angeschlossen. Das bedeutet, dass in einigen Straßen die Fernwärme quasi vor der Haustür liegt, aber Häuser nicht angeschlossen sind. Teilweise liegt Fernwärme bereits im Haus, weil der Anschluss des nächsten Hauses durch den Keller geführt wird. Aber das Haus selbst hat dennoch keinen Anschluss. In diesen Gebieten lassen sich Immobilien mit relativ geringem Aufwand anschließen. Dennoch müssen auch hier etwa 100 Kilometer neuer Leitungen gebaut werden.
Des Weiteren zeigen unsere Analysen und Erfahrungswerte, dass Anschlüsse mit Distanzen zwischen drei und 30 Metern, relativ schnell umsetzbar sind. Dennoch wird es Fälle geben, in denen es schwierig wird, wenn z.B. riesige Bäume auf möglichen Leitungstrassen stehen oder andere Versorgungsleitungen im Wege sind. Das ist immer eine Einzelfallprüfung.

Martin Krämer: Was sind die konkreten zeitnahen Projekte? Wo wird das Fernwärmenetz mittelfristig erweitert?

Hartmut Conrad: Das ist aktuell zunächst Teil eines Planungsprozesses, der Teil der gesetzlich vorgeschriebenen kommunalen Wärmeplanung ist. In Bochum geht man diese Herausforderung gemeinschaftlich an. So sind wir als Stadtwerke in Bochum zusammen mit der Wohnungswirtschaft Partner der Stadt in dieser kommunalen Wärmeplanung. Diese läuft bis 2026. Das heißt, wir müssen noch abwarten, bis es finale Aussagen gibt. Das Zielbild ist, dass man bei allen Straßen genau sagen kann, welche Art der Wärmeversorgung zukünftig realisiert werden kann.
Was wir als Stadtwerke bereits heute machen können, ist die Netzverdichtung. Unser bestehendes Fernwärmegebiet reicht im Norden von Gerthe über die Innenstadt, Ehrenfeld und zuletzt bis in den Süden im Bereich Querenburg rund um die Ruhr-Universität. Überall dort, wo schon Fernwärme liegt, wird das Netz verdichtet.

Dann gibt es eine Reihe von Projekten, in denen wir gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft auch neue Gebiete erschließen, beispielsweise in Altenbochum. Immer dann, wenn wir eine neue Leitung legen, versuchen wir auch die Häuser, die entlang der Leitung stehen, mit anzuschließen. So wird das Netz in diesen Bereichen erweitert.

Das wird natürlich nicht von heute auf morgen gehen. Man wundert sich, wie eng es im Untergrund ist. Da liegen Abwasserleitungen, Strom- und Gasleitungen, Glasfaserleitungen und so weiter. Das ist immer wieder ein Diskussionsprozess, der einen hohen Planungsaufwand mit sich bringt.

Und wenn dann 2026 die Wärmeplanung abgeschlossen ist, wird es ein gemeinsam definiertes erweitertes Gebiet geben, in dem es Sinn macht, das Fernwärme-Netz auszubauen.

Martin Krämer: Bisher arbeitet Fernwärme weitgehend mit konventionellen Energieformen. Das wird zukünftig sukzessive umgestellt. Was sind die konkreten Ideen dazu?

Hartmut Conrad: Genau, wir haben uns auf den Weg gemacht, die Bochumer Wärmeerzeugung zu dekarbonisieren. Das ist auch gesetzlich vorgegeben: Bis 2030 müssen mindestens 30 % der Energieerzeugung für Fernwärme nachhaltig sein, also aus erneuerbaren Energien stammen. Dazu haben wir eine ganze Reihe von Projekten gestartet.

Wir arbeiten z.B. mit einem sehr spannenden Start-up aus Hamburg zusammen, Novocarbo. Das Unternehmen wird eine Produktionsstätte in direkter Nachbarschaft zu MARK 51°7 errichten, an dem es mittels eines Pyrolyseprozesses Pflanzenkohle erzeugt, die man z.B. als organischen Zusatzstoff für die Verbesserung von Pflanzerde nutzen kann. Dabei entsteht sehr viel grüne Abwärme, die wir wiederum für die Bochumer Fernwärme nutzen können.

Ein sehr großes Projekt planen wir im Klärwerk Ölbachtal, unterhalb der Ruhr-Universität. Dort möchten wir die Abwärme des Klärwassers nutzen. Dieses hat auch im Winter noch 10-12 Grad beim Abfluss aus dem Klärwerk. Wir nutzen die 4 bis 5 Grad Temperaturdifferenz für eine Groß-Wärmepumpe. Das Energiepotenzial ist beachtlich: An diesem Standort können wir voraussichtlich über 15 Megawatt gewinnen. Das entspricht dem Leistungsbedarf von ca. 1000 Einfamilienhäusern.

Wir haben auch überlegt, ob wir ein Projekt mit Tiefen-Geothermie machen. Das ist allerdings in Bochum oder auch im gesamten Ruhrgebiet wegen der geologischen Situation mit sehr großen Risiken behaftet. Wir reden hier über ein Invest von über 20 Mio. Euro für eine Bohrung, bei der man nicht sicher sein kann, ob diese fündig wird. Da zögern wir also noch.

Aber es gibt bereits sehr innovative Geothermieprojekte in Bochum. Bei der Erschließung des Mark 51°7-Geländes haben wir z.B. Grubenwasser aus dem Kohlenbergbau als Wärmequelle angezapft. Wenn die Wärmegewinnung dort läuft, was voraussichtlich Anfang 2026 der Fall sein wird, sollen 70 bis 75 Prozent des Wärme- und Kältebedarfs für das gesamte Areal aus dem Boden kommen. Mit den derzeit geplanten Projekten werden wir das gesetzliche Ziel 30 % erneuerbare Wärme bis 2030 erfüllen. Darüber hinaus gibt es natürlich weitere Planungen.

Martin Krämer: Wird Grubenwasser und Abwärme von Klärwasser ausreichen oder gibt’ es noch andere Formen von Energiegewinnung, die man in den nächsten ja 20 Jahren erschließen kann?

Hartmut Conrad: Nur Großwärmepumpen werden nicht ausreichen. Das typische an Fernwärme ist, dass die Wärme immer lokal produziert wird. Gas hingegen kommt zum Großteil aus dem Ausland. Das ist einer der, wie ich finde, beruhigenden Faktoren bei der Fernwärme. Die Wärme muss lokal erzeugt werden. Das heißt aber auch, dass man immer lokale erneuerbare Energiequellen finden muss.

In Bochum haben wir nicht das große Industriewerk, von dem wir die Abwärme als grüne Energie nutzen und damit schon mehr als 50 Prozent abdecken könnten, wie das zum Beispiel in Dortmund der Fall ist. Das heißt, wir müssen andere Optionen finden. Wir haben hier eine Reihe von Ideen. So könnte z.B. auch Flusswasser aus der Ruhr nutzbar gemacht werden. Es gibt auch Überlegungen, Wasser in normalen Trinkwasserrohren, das in der Regel Temperaturen von 8 bis 10 Grad hat, zu nutzen. Dazu muss man allerdings sagen, dass wir da noch am Anfang stehen. Wir haben also eine ganze Reihe von Projektideen, die es zurzeit gilt, eingehend zu prüfen.

Es wird aber Orte in Bochum geben, da wird es wahrscheinlich nie eine Fernwärmeversorgung geben.

Martin Krämer: Das heißt, an diesen Orten muss es Nahwärmenetze als lokale Lösung geben oder Wärmepumpen.

Hartmut Conrad: Das sind jetzt die beiden Möglichkeiten. Was wir heute schon tun, ist der Bau von Nahwärmenetzen – auch in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft und Investoren, z. B. am Ruhrauenpark in Dahlhausen.

Wir bekommen schon heute Anfragen von Unternehmen, die ein eigenes Energienetz nutzen wollen und prüfen diese Möglichkeiten individuell und standortbezogen. Eine Maßgabe dabei ist natürlich die Wirtschaftlichkeit für alle Beteiligten.

Auch die Mieter spielen bei den Planungen eine wichtige Rolle. Wir als Stadtwerke sind daran interessiert, dass wir in Bochum langfristige Beziehungen zu unseren Kunden aufbauen. Die Stadtwerke Bochum sind hier ein vertrauensvoller Partner.

Martin Krämer: Ein Nahwärmenetz mit Solarthermie spielt keine Rolle?Hartmut Conrad: Solarthermie alleine wird nicht reichen. Sie könnte ein Baustein von vielen sein. Doch Wärmekonzepte mit mehreren unterschiedlichen Technologien sind technisch und im Hinblick auf die Abrechnung anspruchsvoll. Da muss man abwägen, ob man dann vier, fünf Wärmequellen haben will, die alle miteinander zuverlässig funktionieren müssen. In der Praxis läuft es daher darauf hinaus, ein bis maximal zwei dieser Wärmequellen zu kombinieren.

Martin Krämer: Sie haben gesagt, sie wollen die Fernwärmeerzeugung auf Erneuerbare umstellen. Was aber passiert dann mit den Gasnetzen? Werden die irgendwann abgeschaltet wie 2035 in Mannheim?

Hartmut Conrad: Wir machen uns natürlich Gedanken darüber, was mit dem Gasnetz sowie dem Stromnetz passieren wird.
Eine erste Aussage zum Bestehen des Bochumer Erdgasnetzes wird erst nach Abschluss der kommunalen Wärmeplanung möglich sein. Es gibt viele Einflussfaktoren, die eine Einschätzung erschweren: die politischen Rahmenbedingungen und Förderbedingungen zum Ausbau regenerativer Wärmequellen, die Verfügbarkeit alternativer Wärmequellen sowie die Ausbaugeschwindigkeiten der Fernwärme- und Stromnetze.

Was die Preise betrifft, ist klar, Gas wird perspektivisch teurer werden. Nicht morgen, aber vermutlich in ein paar Jahren. Ein Treiber werden beispielsweise die CO2-Kosten sein.
Gas wird in Zukunft die teurere Variante sein. Das sollten natürlich auch Vermieter bei der Investitionsentscheidung für neue Heiztechnologien berücksichtigen. In Folge trifft dies dann auch die Mieter über die Nebenkosten.

Martin Krämer: Sie haben vorhin noch das Stichwort „Stromnetze“ genannt. Das spielt dann bei Wärmepumpen eine Rolle. Ist es eine Herausforderung, dass auch der Strom dafür reicht? Müssen Sie Stromnetze ausbauen?

Hartmut Conrad: Das ist in jedem Fall eine Herausforderung. Durch den Hochlauf von Wärmepumpen und der Elektromobilität erwarten wir einen enormen Lastanstieg in unserem Netz. Wir planen deshalb in den nächsten Jahren massive Investitionen. Wir gehen nach eingehender Prüfung davon aus, dass bis 2045 rund 3.100 km neue Netzleitungen und rund 1.500 neue Ortsnetzstationen notwendig sein werden.

Es gilt, das Zusammenspiel von Einspeisern, die zusätzlichen Strom z.B. über PV-Anlagen in unser Netz einspeisen, und zunehmenden Verbrauchern (Wärmepumpen, Ladestationen) zu managen. Dafür sorgt in Zukunft eine intelligente Netzsteuerung.

Martin Krämer: Gibt es denn irgendwas, was Mieterinnen und Mieter besonders betrifft?

Hartmut Conrad: Ja, nach dem Mietrecht (§ 556 c BGB) gilt bei einer Umstellung der Wärmeversorgung vermieteten Wohnraums von Eigenversorgung auf gewerbliche Wärmelieferung, dass für die Mieter die Kosten der Wärmelieferung die Betriebskosten der bisherigen Eigenversorgung mit Wärme oder Warmwasser nicht übersteigen dürfen. Die Kostenneutralität müssen wir nachweisen. Das dient dem Mieterschutz. Die Wärmelieferverordnung bildet die Grundlage der durchzuführenden Kostenvergleichsrechnung und gibt einige inhaltliche Anforderungen an die zu schließenden Verträge und die Ankündigung der Umstellung an die Mieter vor.

Bei einer Wärmeerzeugung über einen Gaskessel wird die Wärme in der jeweiligen Immobilie erzeugt. Hier entstehen feuerungstechnische Wirkungsgrad- und Abgasverluste, die bei einer Fernwärmelieferung nicht anfallen. Der über einen Wärmemengenzähler gemessene Verbrauch an der Fernwärmeübergabestation fällt in der Regel geringer aus. Der Arbeitspreis von Gas und Fernwärme kann demnach nicht direkt verglichen werden.

Was dann die Nebenkosten der Mieter betrifft, da ist es vielleicht wichtig zu wissen, dass man bei Häusern mit Fernwärmeversorgung keinen Schornsteinfeger mehr benötigt. Das heißt, diese Kosten fallen weg. Ähnlich ist es mit den jährlichen Wartungskosten, da Fernwärmeanlagen sehr wartungsarm sind. Ein weiterer großer Vorteil ist die Investitionssicherheit: Fernwärmeanlagen laufen auch nach 40 Jahren noch einwandfrei. Die Investitionsentscheidung durch den Vermieter für Fernwärme muss nur einmal für vielleicht 40 Jahre getroffen werden.