Der Mann im Container
Wenn man sich das Grundstück Gahlensche Straße 182 von oben ansieht – zum Beispiel mit der Kartenfunktion einer großen internationalen Suchmaschine im Internet –, erblickt man an der Straße ein ältliches Wohnhaus und im Hinterland eine Menge Garagen. Alles Schnee von gestern, Haus und Garagen sind komplett abgerissen. Heute ist dort eine Baustelle, acht neue Häuser entstehen. Seitens der Eigentümerin, der Massivhaus Dortmund Beteiligungs-GmbH, ist man offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass dieses Grundstück einer intensiveren Verwertung zugeführt werden kann. Ganz hinten auf dem Grundstück, unmittelbar vor der AWO-Kindertagesstätte, lebt seit Januar 2019 der letzte Mieter des alten Hauses, der Rentner Alfred Grutsch (77) – in einem Container.
Alfred Grutsch ist schwer krank. Einen Herzinfarkt hat er überstanden, den Kehlkopfkrebs auch, zumindest bisher. Aber essen kann er nur noch Astronautenkost aus Fläschchen. Dennoch war er mit dem Umzug in den Container einverstanden, als die Massivhaus Dortmund das Haus, in dem außer ihm niemand mehr wohnte, abreißen wollte. Seit 40 Jahren wohnt er hier und wollte nicht weg. Man versprach ihm eine Wohnung in dem neu zu bauenden Haus, schloss mit ihm auch bereits einen Mietvertrag ab, für nur 30 € Miete mehr. Alfred Grutsch wollte auf dem Grundstück bleiben und hoffte, dass es nicht so lange dauern werde.
Doch der Bau zieht sich hin, und jetzt gibt es ein Problem: Die zusätzlichen Häuser werden nicht vermietet, sondern sind bereits verkauft, erhalten Hausnummern von 182a bis 182g. Und der neue Eigentümer des letzten Grundstücks verlangt, dass der Container verschwindet, seit er entdeckt hat, dass dort gar kein Büro ist, wie über der Tür geschrieben steht, sondern dass da jemand wohnt.
Lapidarste Kündigung aller Zeiten
Die Kündigung, die Alfred Grutsch daraufhin bekommt, ist wohl die lapidarste, die in den Akten des Mietervereins zu finden ist: „Der Eigentümer des Hauses Gahlensche Straße 182g in Bochum hat uns mitgeteilt, dass der Wohncontainer auf seinem Grundstück nicht mehr geduldet wird und uns aufgefordert, diesen zu entfernen“, heißt es darin. Und weiter: „Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir der Aufforderung nachgehen müssen und den Wohncontainer bis zum 30. 11. 2019 vom besagten Grundstück entfernen werden.“
Das Schreiben, dem man nur in der Betreffzeile anmerkt, dass es überhaupt eine Kündigung sein soll, datiert auf den 22. Oktober. Selbst wenn man unterstellt, dass es bereits am nächsten Tag bei dem Mieter ankam, wäre das eine Kündigungsfrist von fünfeinhalb Wochen. Das Gesetz sieht nach so langer Mietdauer neun Monate vor.
Rechtsanwalt Holger Kühn vom Mieterverein sieht deshalb juristisch auch keine Probleme: „Diese Kündigung ist sowohl formell als auch inhaltlich unwirksam. Das haben wir der Gesellschaft mitgeteilt.“
Doch die Firma Massivhaus sucht eifrig nach einer Ersatzwohnung für Alfred Grutsch, was ihr ja unbenommen ist. In der Von-der-Recke-Straße 18, nicht weit entfernt, wird sie fündig. Aber
Alfred Grutsch zögert. Er hat Angst, die zugesicherte Wohnung in der Gahlenschen Straße nicht mehr zu bekommen, wenn er erstmal woanders hinzieht. Außerdem ist die Miete noch einmal 35 € höher. Da wird es langsam eng für den Grundsicherungs-Empfänger.
Stromausfall
Am 18. November fällt im Container der Strom aus. Die elektrische Heizung funktioniert nicht mehr, die Temperatur im Container sinkt auf 3 Grad. Nach zwei Tagen gibt Alfred Grutsch auf und unterschreibt den Mietvertrag für die Von-der-Recke-Straße. Minuten später funktioniert der Strom wieder.
Natürlich hat der Mieter den Verdacht, dass da Absicht hintersteckt. Andreas Multhaup von der Massivhaus Dortmund weist das gegenüber dieser Zeitung zurück: „Das war ein größerer Ausfall, der betraf auch die AWO-Tagesstätte. Dort war Herr Grutsch auch, um sich aufzuwärmen, und die haben dann die Bauordnung verständigt, dass in dem Container jemand wohnt. Jetzt gibt es eine Räumungsverfügung von der Stadt.“
Klingt plausibel, stimmt aber nicht. MIETERFORUM hat nachgefragt, und sowohl die AWO als auch die Stadt dementieren: kein Stromausfall und keine Räumungsverfügung.
Die Suche nach Ersatzwohnraum geht indes weiter. Alfred Grutsch ist bereit, umzuziehen, wenn ihm garantiert wird, dass er die neue Wohnung in der Gahlenschen Straße trotzdem bekommt. Holger Kühn hat eine Idee dazu: „Warum mietet die Massivhaus Dortmund die Ersatzwohnung nicht an und gibt dem Mieter einen Untermietvertrag? Das gibt ihm Sicherheit und er hat keine Probleme, auch nicht mit der Kaution.“